Guten Abend,
vielleicht noch ein paar Aspekte von meiner Seite. Ich bin vermutlich als KNX-geschädigt zu bezeichnen, das sollte man wissen um die nachfolgenden Zeilen einordnen zu können.
Ohne exakt zu zitieren greife ich mal ein paar Meinungen auf.
KNX ist teurer als andere SmartHome Lösungen.
Diese Aussage ist IMHO schlichtweg falsch, es ist DEUTLICH teurer und nicht nur einfach teurer. Die ETS Softwarekosten anzuführen halte ich für unnötig, das geht im Grundrauschen unter. Die Listenpreise moderner einzelner KNX-Schalter liegen weit jenseits von 100 EUR in Standard-Plastik-Hässlich. Ich habe im Wohnzimmer Busch Jäger Prion verbaut in Glas, da lag ein Dreifachelement mit Display bei ca. 1000 EUR.
Es stimmt natürlich (wie oben gesagt), dass KNX den Appetit anregt, aber das liegt auch daran, dass KNX in "einfach und hässlich" schon so teuer ist, dass man dann lieber auch in die optische Edelklasse rutscht, sonst kann man sich das eigentlich alles sparen.
Integrierbarkeit (optisch)
Mir ist die Integrierbarkeit in bestehende Schalterprogramme von Busch Jäger, Merten oder Gira wichtig. Wenn ich nicht mit tiefen Dosen und dahinterliegenden Aktoren agieren möchte, bleibt mir da kaum etwas anderes als KNX übrig. Wenn ich im Haus nicht unter jeden Schalter wenigstens eine Steckdose gesetzt hätte, dann wäre der WAF (Women Acceptance Factor) auf Null gesunken. Wie soll ich aber bitte die preiswerten ZigBee/WLAN Taster (homekit enabled) in Rahmen mit Steckdosen oder RJ45 Buchsen optisch verträglich integrieren ?
Integrierbarkeit (technisch)
Für meine Klimaanlage gab es ab Werk (für kleines Geld) einen KNX-Anschluss, damit hatte ich alle Möglichkeiten an der Hand ohne Zeitaufwand die Steuerung der Klimaanlage in die Heizungssteuerung zu integrieren. Ohne KNX wäre das arg kompliziert geworden. Viele Heizungshersteller liefern KNX-Anschlüsse, mit denen sich wichtige Parameter "out of the box" einfach auslesen lassen, in der Regel kann darüber auch eine Steuerung erfolgen.
Die Liste ist lang - wie bekomme ich außerhalb der KNX-Welt schnell und einfach Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Luftdruck, Sonneneinstrahlung auf dem Dach, Regenmenge usw. gemessen. In der KNX-Welt kann ich zwischen mehreren Dutzend dieser "Wetterstationen" auswählen.
Zukunftssicherheit
Ich kann die Verkabelung im Haus zukunftssicher gestalten. Dazu gehört natürlich das Verlegen von CAT7 in Lehrrohren an alle Stellen wo es geht. WLAN ist toll, RJ45 ist besser. In meinem Haus vor 15 Jahren (im Rahmen einer Renovierung) zwischen den Etagenverteilern OM2 Patchkabel (multi-mode) zu verlegen war z.B. die richtige Entscheidung. Inzwischen kosten SFP+ Module für die Switches nur ein paar Euro und so habe ich zwischen den Etagen heute entspannt 2*10GB zur Verfügung. Als ich die verlegt habe wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass die KNX Linienkoppler in Ihrer Ausprägung als IP-Router später mal exakt diese Leitungen in einem "Privathaus" mitnutzen würden. Ich hatte damals eher Video-Streaming im Hinterkopf.
Bei der Verkabelung alle (Strom)-Leitungen bis zum Schaltkasten zu führen und diese dezentral im Haus zu verteilen ist ebenfalls als "zukunftssicher" einzustufen. Diese Kabel würde ich allerdings wirklich nicht durch Leerrohre ziehen.
Das grüne KNX-Kabel einfach parallel zu jedem Stromkabel legen (lassen) ohne nachzudenken. Wenn man es nicht braucht (weil z.B. Funk zum Einsatz kommt), lassen sich darüber z.B. elegant in Fenster eingelassene Reed-Kontakte mit den zugehörigen Binäreingängen verbinden. Wer kein Geld für KNX hat kann auch preiswert mit HomeMatic beginnen und das grüne EIB-Kabel "zweckentfremden".
By the Way, die IP-Anbindung der Garage läuft bei mir z.B. heute über ein verwaistes KNX-Kabel mit 10MBit Halbduplex. Die Fehlerrate auf dem Switch ist zwar hässlich hoch, aber das steckt der Ethernet-Switch locker weg. Dadurch habe ich mir einen weiteren WLAN-Repeater gespart.
Also: legt Kabel, Kabel, Kabel, Kabel - und zusätzlich vielleicht noch ein paar Kabel.
Planung der Hauselektrik
Wer seine Eleketroinstallation selber planen kann, der kann auch die KNX-Anforderungen schnell selber verstehen. Wer es machen lässt hat ohnehin kein Problem, ich würde nie einen Elektriker für die Planung einer Elektroinstallation eines EFH anheuern der nicht auch KNX-Integrator ist.
Zeitaufwand
Wer nicht gerade Millionär ist muss selber ran, ob Smarthome mit KNX oder ohne KNX. KNX basiert auf dem Instabus, auch EIB genannt. Meine Frau übersetzt EIB daher nicht mit "Europäischer Installationsbus" sondern mit "Ehemann ist beschäftigt". Vor allem wenn es um das Thema Automatisierung geht und sensorgesteuerte Aktionen (automatische Beschattung, automatische Fensterschliessung bei Regen) ausgelöst werden soll, kommt man um "Eigenprogrammierung" nicht herum. Hier bringt KNX 0,0 Vorteil gegenüber anderen Lösungen.
Robustheit
Das Thema Robustheit fehlt mir in den Diskussionen ein wenig. Meine Homekit-Devices erledigen unwichtige Aufgaben. Wenn ich mir überlege was alles an Geräten funktionieren muss, damit meine "HomeKit Taster" die "HomeKit Aktoren" ansteuern wird mir "Angst und Bange".
Im KNX-Umfeld reden die Devices über ein billiges Kabel miteinander ohne zentrale Instanz. Das Kabel wird durch einfache (KNX-Netzteile) gespeist. Von diesen Netzteilen darf ich mehrere verbauen, geht eins kaputt .. egal .. man hat ja mehrere. Die Netzteile gibt es mit integriertem Akku, Stromausfälle sind für die Steuerung einfach egal. Das war vor 30 Jahren so und heute auch noch.
Wenn die KNX-Visualisierung "abschmiert" kann ich trotzdem in der Nacht auf dem WC das Licht anschalten. Wenn ich das über Homekit-Devices gemacht hätte und "ich muss mal" während ein Device im WLAN mal wieder nicht erreichbar ist, dann ist das .. Ihr wisst was ich meine.
Dann muss man sich einfach mal klar machen, was SmartHome ohne KNX für den Wiederverkaufswert eines Hauses bedeutet. Welcher Käufer (ohne Bastelaffinität) möchte zur Betätigung eines Garagentors verstehen, dass dazu unterm Dachboden auf irgendeiner NAS-Box dockerbasiert eine OpenSource-Software läufen muss (als Beispiel). Der Gedanke, dass in Zukunft jeder Lichtschalter sein eigenes https-Zertifikat braucht macht mir Angst.
Dann lieber "dumme" Devices am grünen Kabel.
Im KNX-Umfeld habe ich EIN Software-Projekt in einem standardisierten Format, welches durch jeden KNX-Integrator eingelesen und verstanden werden kann. Meine 15 Jahren alten Projekte bekomme ich heute noch eingelesen (und kann so Veränderungen vornehmen). Ich gebe zu, ich habe auch noch alte Devices am Bus, die ich unter der ETS6 (aktuelle Version) nicht mehr neu programmieren kann. Aber auch diese Situation ist für einen KNX-affinen Elektriker kein Problem, der hat noch irgendwo einen XP-basierten Notebook mit einer ETS2 oder ETS3 liegen, die "Besseren" haben alte Versionen einfach virtualisiert.
Bitte nicht verwechseln, die ETS-Software wird NICHT für den Betrieb verwendet, sondern nur für die Anpassung bestehender oder das Einbringen neuer Komponenten.
Flexibilität
KNX geht per Draht (Twisted Pair), Funk (point to point, kein zentral zu steuerndes WLAN, kein ZigBee über eine Bridge) oder die Stromleitungen (PowerNet). KNX-PowerNet ist in die Jahre gekommen, die Sensoren, Aktoren (ABB, Busch Jäger) lassen sich 1:1 durch KNX-RF Devices ersetzen (was ich gerade mache).
Komplexität
Ich zähle heute in meiner KNX-Welt 120 Devices am KNX-Bus, noch ca. 30 Devices an Stromleitungen (PowerNet), 40 KNX-RF Devices der ersten Generation (Busch Jäger Waveline) und weitere 30 KNX-RF Devices der ersten Generation (Siemens GammaWave) die alle miteinander reden. Über "nur" 220 KNX-Devices lacht jeder Elektriker, das sind "Kleinstinstallationen" bezogen auf große gewerbliche Bauten. Selbst wenn ich mal ausfalle, versteht jeder Elektriker anhand der Projektdatei innerhalb eines Tages wie alles zusammenspielt - bis ins letzte Detail.
Meine 30 WLAN Devices und 40 ZigBee Devices machen zwar nur ein Viertel der gesamten Installationsbasis aus, binden aber in der kontinuierlichen Pflege 3/4 meiner in SmartHome investierten Zeitressourcen. Man stelle sich vor ich hätte knapp 300 Devices in einer proprietären Welt zu maintainen, woher diese Zeit nehmen ?
Mein Fazit (nur für mich)
Wenn "SmartHome" im Neubau, dann KNX-basiert.
Reicht das Geld oder das KnowHow oder die Muße dazu nicht ... besser ganz bleiben lassen und bei Bedarf ein paar Glühlampen durch smarte Glühlampen von IKEA oder Philips ersetzen. Das lässt sich jederzeit problemlos zurückbauen.
Die Planung einem guten Elektriker überlassen, die Implementierung kann man getrost selber machen.
Für jede Technologie eine transparente Bridge an den KNX-Bus bringen und hier nicht sparen; alles was nicht über KNX läuft "optional" machen. Wenn Siri den Wunsch nach dem Öffnen des Garagentors mit "ich habe Dich nicht verstanden" beantwortet, sollte man immer den nativen Funköffner der Garagentorsteuerung UND/ODER den Schlüsselschalter in der Wand zur Verfügung haben. Die Heizung und Warmwasserversorgung muss autark laufen, ich muss bei WLAN Ausfall auch meine Jalousien öffnen bzw. schliessen können und die iCloud Probleme nach Umstieg von Intel-Mac auf einen M1-Mac möchte ich gerne bei Licht im warmen (geheizten) Raum lösen und nicht in einem ungeheizten Raum im Dunkel unter dem Druck der Familie, wann denn wieder die Stromversorgung zum Geschirrspüler eingeschaltet werden kann.
LG
(Diese Gedanken sind bei mir spontan hochgepoppt beim Durchlesen dieses Threads; ich hoffe nicht, dass sich jemand durch meine Worte gekränkt fühlt, das wäre nicht meine Absicht)